Das Feuer, das sieben Hochhäuser in Hongkong zerstört hat, ist nach mehr als 36 Stunden fast gelöscht. Um 9 Uhr Hongkonger Zeit am Freitagmorgen gab die Feuerwehr bekannt, dass 94 Menschen ums Leben gekommen und 76 verletzt worden sind. Inzwischen ist die Zahl der Toten auf 128 gestiegen.
Und selbst diese Zahlen werden weiter steigen. Die Zahl der Vermissten wurde von den Behörden zunächst über 24 Stunden nicht aktualisiert und lag am Freitagabend weiterhin bei über 200. Es handelt sich um den schlimmsten Brand in der Geschichte Hongkongs seit einem Lagerhausbrand im Jahr 1948, bei dem 176 Menschen ums Leben kamen.
Der Apartmentkomplex Wang Fuk Court im Stadtteil Tai Po geriet am Mittwochnachmittag in Brand. Der Komplex befand sich gerade in Renovierung. Wie so viele andere Gebäude in Hongkong war auch dieser Komplex mit Bambusgerüsten und grünen Schutznetzen umhüllt. Die unmittelbare Brandursache ist noch nicht bekannt, doch kurz nach Ausbruch des Feuers breitete es sich mit atemberaubender Geschwindigkeit über die Gerüste und Netze aus, die die Gebäude umgaben, und verschlang sieben Wohntürme in den Flammen.
Überlebende Bewohner berichten, dass kein Feueralarm ausgelöst wurde. Die Fenster waren mit leicht entflammbarem Styropor verkleidet. Ein älterer Überlebender erzählte der Presse, dass seine Wohnung völlig dunkel gewesen sei, da die Fenster von außen mit Styropor verkleidet waren. Er hatte das Feuer durch einen Spalt in der Styroporverkleidung seines Badezimmerfensters bemerkt und konnte sich retten. Andere hätten das Feuer überhaupt nicht sehen können.
Die Firma Prestige Construction and Engineering Company, die für die Instandhaltung der Gebäude in der Wohnanlage zuständig ist, scheint nicht zugelassene Materialien verwendet zu haben, darunter Styropor und brennbares Netzgewebe. Das Arbeitsministerium von Hongkong führt auf seiner Website nur Aufzeichnungen über Verstöße von Unternehmen aus den letzten zwei Jahren, aber selbst in diesem begrenzten Zeitraum wurde die Firma im November 2023 wegen zweier Sicherheitsverstöße auf anderen Baustellen verurteilt. Das Unternehmen führte elf laufende Bauprojekte in Wohnsiedlungen durch.
Die Polizei verhaftete zwei Geschäftsführer und einen Berater von Prestige Construction wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung. Bei einer Razzia in den Büros des Bauunternehmens beschlagnahmte sie Ausschreibungsunterlagen, eine Liste der Mitarbeiter sowie Computer und Mobiltelefone.
Flammhemmendes Netz kostet 90 Hongkong-Dollar pro Bahn, das entspricht etwa zehn Euro; brennbares Netz, dessen Verwendung in Gebäuden mit mehr als vier Stockwerken verboten ist, kostet 50 HK-Dollar, also etwa 5,50 Euro. Es ist wahrscheinlich, dass gesetzwidrige Sparmaßnahmen, mit denen 4,50 Euro pro Netzbahn eingespart werden sollten, dazu geführt haben, dass sich das Feuer schnell auf sieben der acht Wang-Fuk-Türme ausbreitete.
Anwohner berichten, dass sie wiederholt Verstöße gemeldet haben. Sie erklären außerdem, dass Prestige den Auftrag erhalten habe, obwohl das Unternehmen das schlechteste Angebot abgegeben habe, was stark auf weitreichende Korruption und geheime Absprachen hindeute.
Das Arbeitsministerium berichtete, dass es die Firma eine Woche vor dem Feuer vor Brandgefahren im Wang Fuk Court gewarnt habe. Seit Juli letzten Jahres seien dreimal Warnungen wegen Verstößen gegen Arbeitsschutzvorschriften ausgesprochen worden.
All das wirft die Frage auf: Warum wurde nichts unternommen? Welche Bedeutung haben wiederholte Warnungen der Regierung, wenn keine Änderungen folgen und das einzige Ergebnis weitere Warnungen sind? Auch wenn die Details noch unklar sind, ist es offensichtlich, dass es zumindest eine große Nachlässigkeit der Regierung bei der Unternehmensaufsicht und -regulierung gab, wenn nicht sogar eine direkte Komplizenschaft bei den Verstößen.
Tai Po liegt im Norden der Sonderverwaltungszone Hongkong in den New Territories und ist eine überwiegend von Arbeitern und Menschen mit geringem Einkommen bewohnte Gemeinde mit über 320.000 Einwohnern. Viele dieser Einwohner leben in staatlich subventionierten Wohnsiedlungen wie Wang Fuk Court.
Unter den Todesopfern sind unverhältnismäßig viele ältere Menschen und Kleinkinder. Eine Volkszählung der Regierung aus dem Jahr 2021 ergab, dass von den 4.600 Bewohnern der Siedlung etwa 40 Prozent über 65 Jahre alt waren. An einem normalen Tag sieht man ältere Menschen im Park zusammenkommen, im Schatten Mahjong spielen und sich zum morgendlichen Tai Chi versammeln; alte Frauen kümmern sich um ihre Enkelkinder, alte Männer angeln im nahe gelegenen Fluss Lam Tsuen.
Laut Immobilienanzeigen beträgt die durchschnittliche Wohnfläche der fast 2.000 Wohnungen in dem 1983 erbauten Komplex etwa 39 bis 44 Quadratmeter. Oft leben in einer Wohnung mehrere Generationen zusammen. In vielen leben Ehepaare, deren gemeinsames Einkommen alle versorgt, die Großeltern und die Kinder.
Die Großeltern kümmern sich um die Kleinkinder, bis diese alt genug sind, um zur Schule zu gehen, während beide Elternteile arbeiten. Wenn die älteren Familienmitglieder diese Aufgabe nicht mehr bewältigen können, wird oft eine Hausangestellte – von den Philippinen oder aus Indonesien – eingestellt, die ebenfalls im Haushalt lebt und sich um die älteren Menschen und Kleinkinder kümmert.
Da sich der Brand am Nachmittag ereignete, waren die meisten der in den Wohnungen eingeschlossenen Menschen Großeltern und Kleinkinder. Die Nachrichten in Hongkong zeigten am Donnerstag herzzerreißende Bilder einer berufstätigen Mutter, die erfuhr, dass ihre ältere Schwiegermutter und ihre kleine Tochter ums Leben gekommen waren.
Mindestens eine philippinische und zwei indonesische Hausangestellte starben bei dem Brand. Nach Angaben des Asian Migrants Coordinating Body werden noch mindestens acht migrantische Arbeiter vermisst. Die tatsächlichen Zahlen sind zweifellos höher. In Facebook-Posts der Hausangestellten-Community werden Aufrufe veröffentlicht, um die Vermissten und die von ihnen betreuten Kleinkinder zu finden.
Zahlreiche Hausangestellte haben laut Angaben ihrer Konsulate überlebt und befinden sich nun in Evakuierungsunterkünften. Ihre Visa sind an eine Beschäftigung gebunden, und sie werden höchstwahrscheinlich von der Regierung Hongkongs in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden.
Über tausend Einwohner leben derzeit in Evakuierungszentren und Notunterkünften und schlafen auf dem Boden. Viele suchen noch immer verzweifelt nach vermissten Angehörigen. Aus der Bevölkerung Hongkongs kommt eine Welle der Unterstützung; sie hat Spenden gesammelt und Hilfsmaßnahmen koordiniert.
Die staatliche Hilfe für die Opfer war bisher dürftig und grenzt an eine Beleidigung. Der Regierungschef John Lee Ka-Chiu versprach, dass die Regierung einen Fonds in Höhe von 300 Millionen Hongkong-Dollar (ca. 33 Millionen Euro) zur Unterstützung der Opfer einrichten werde, einschließlich einer Barauszahlung von 10.000 Hongkong-Dollar an jeden Haushalt. Das entspricht einer Monatsmiete für eine 28 Quadratmeter große Wohnung. Um in Hongkong eine Wohnung zu beziehen, muss man die erste und letzte Monatsmiete, eine Kaution in Höhe einer Monatsmiete sowie eine halbe Monatsmiete für den Makler zahlen, also das Dreieinhalbfache der von der Regierung angebotenen Hilfe.
Lee fügte hinzu, dass jeder Familie der Opfer ein Sachbearbeiter zugewiesen und eine zweiwöchige Unterkunft in einem Hostel oder Hotel zur Verfügung gestellt werde. Die Opfer haben nicht nur ihre Angehörigen verloren, sondern auch ihr gesamtes Hab und Gut. Sie tragen gebrauchte Kleidung, die aus Spenden der Gemeinde stammt. Und alles, was die Regierung von Hongkong ihnen gibt, sind zwei Wochen Unterkunft und eine Monatsmiete.
Die Wohnungskrise ist eines der prägenden sozialen Merkmale Hongkongs, das seit jeher zu den teuersten Städten der Welt zählt. Siebeneinhalb Millionen Menschen leben auf einer Fläche von etwa 80 Quadratkilometern. Der Mindestlohn in Hongkong beträgt 42,1 Hongkong-Dollar pro Stunde (knapp 4,70 Euro) und wurde 2025 um nur 2,1 Hongkong-Dollar erhöht, was einem Anstieg von etwa 23 Cent entspricht.
Die Wohnungskrise in Hongkong ist nicht das Ergebnis von Überbevölkerung, sondern von extremer Ungleichheit und Immobilienspekulation.
Hongkong ist die Heimat eines bedeutenden Teils der Superreichen dieser Welt. Die Reichen leben in eigenen Häusern – manche davon sogar etliche Stockwerke hoch –, die einer einzigen Familie vorbehalten sind. Eine einzige wohlhabende Familie kann 20 oder 30 Hausangestellte beschäftigen: Fahrer, Kindermädchen, Köche, eine Crew für die Yacht. Sie leben auf dem Peak oder im Finanzviertel Central und kaufen Gucci und Prada in den Einkaufszentren von Tsim Sha Tsui, dem teuersten Immobilienmarkt der Welt. Sportwagen von Maserati und Lamborghini sind kein ungewöhnlicher Anblick auf den Straßen von Hongkong, einer Stadt mit einem hocheffizienten öffentlichen Nahverkehrssystem, in der es schwierig ist, mit dem Auto irgendwo schneller als 60 Kilometer pro Stunde zu fahren.
Unterdessen leben 220.000 Menschen in gemieteten Räumen, sogenannten „Käfigwohnungen”, die kleiner sind als ein durchschnittlicher Parkplatz in Hongkong. Die Zahl solcher unterteilten Einheiten nimmt zu, insbesondere in älteren Arbeitervierteln wie Sham Shui Po. Ein kleiner Ventilator und ein Reiskocher am Fußende des Bettes, Stapel ordentlich gefalteter Kleidung und andere kleine Haufen von Habseligkeiten liegen auf den Laken in den fensterlosen Zimmern. Jeder Schlafplatz ist von einem Käfig umgeben, der verschlossen werden kann, wenn der Bewohner nicht „zu Hause“ ist.
Die durchschnittliche Wartezeit für eine Sozialwohnung in Hongkong beträgt fünfeinhalb Jahre. Sie wird immer länger statt kürzer. Die Menschen planen ihr Leben rund um den Antragsprozess: Junge Menschen verschieben ihre Heirat, unglückliche Paare vermeiden die Scheidung.
Das System der Sozialwohnungen in Hongkong war entstanden nach einem anderen katastrophalen Brand in den Slums von Shek Kip Mei am Weihnachtstag 1953, durch den 53.000 Menschen obdachlos wurden. Da die britische Kolonialregierung die arbeitende Bevölkerung unterbringen musste und den ideologischen und politischen Druck der soeben erst siegreichen chinesischen Revolution jenseits der Grenze spürte, schuf sie Mietskasernen mit einer Fläche von elf Quadratmetern pro Einheit und einem System von gemeinschaftlich genutzten Toiletten und Waschräumen. Es handelte sich zwar um Wohnungen, aber ihre Architektur ähnelte der von Gefängnissen.
Die Mieten für derzeit subventionierten Wohnraum liegen etwa 30 bis 40 Prozent unter dem Marktpreis, doch der Marktpreis gehört zu den höchsten weltweit. Eine Familie muss ihr gesamtes Monatseinkommen aufwenden, um für subventionierten Wohnraum zu bezahlen; sie muss von ihrem Einkommen leben, die Schulkosten für die Kinder bezahlen, für die Hochschule sparen und ihr Leben mit einem zweiten oder dritten Einkommen bestreiten.
Die Trauer über solche Katastrophen schlägt um in Wut. Wie für die Arbeiterklasse auf der ganzen Welt sind auch in Hongkong die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen explosiv, und die Empörung tritt an die Oberfläche.
